24.05.2019 – 18.06.2019
10.Etappe: Norwegen ¦ 214,8NM
Martin und ich haben bereits einige Länder unseres vielseitigen Planeten bereisen und unterschiedliche Kulturen erleben dürfen. Doch wir sind uns, so glaube ich, einig, dass Norwegen eins der schönsten und imposantesten Länder ist, welches wir bisher sowohl an der Küste als auch an Land mit Segelboot, Auto und zu Fuss bereisen durften.
Norwegens Schönheit offenbart sich vor allem in der Natur, denn so unmittelbar und direkt erlebt man Natur nur selten. Senkrecht ins Land geschnittene Täler gefüllt mit tiefblauem Meerwasser, das sind die Fjorde. Die Fjells: Menschenleere Bergregionen, die zum Wandern einladen. Bergseen, welche mit ihrem Schneesaum und ihren Eisschollen nur erahnen lassen, wie eisig kalt das Wasser wohl sein mag. Sattgrüne Wiesen und unendlich lange Nordseestrände mit weissem Sand.
Aber auch reizvolle, vor allem bunte Hafenstädte und Fischerdörfer und fremdartig anmutende Stabkirchen. Das ist Norwegen!
Auch wenn wir nur einen Bruchteil dieses unglaublich abwechslungsreichen Landes mit seiner spürbar hohen Lebensqualität gesehen haben, verliessen wir Norwegen am 18.06.2019 mit einem zufriedenen und bereicherten Gefühl. Unser Erfahrungsrucksack wurde einmal mehr mit wunderschönen Erinnerungen und Erlebnissen gefüllt.
Aber erst mal zurück auf Anfang:
Am 24.05.2019 kamen wir mit leider nur mässig gutem Wind, dafür aber umso mehr Geschaukel gut aber durchaus etwas erschöpft in Stavern, Norwegen an.
Während der 50NM – Überfahrt blieben die Segelstunden unter den Motorstunden. Die hohen Wellen verhalfen meinem Oberschenkel zu einem neuen Anstrich (Hämatom) in tiefem grün-blau und Karma hatte kurzzeitig bereits ihre sieben Sachen gepackt und sich unterwegs dazu entschieden, uns bei Ankunft zu verlassen und fortan an Land zu leben. (Ja, wer sich gerade bildlich den gestiefelten Kater in Kombi mit dem Wanderstock-Beutel von Hans im Glück über der Schulter vorstellt, hat ungefähr das richtige Bild vor Augen.)
Der ruhige Hafenplatz und das hübsche Städtchen Stavern entschädigten schnell für die Strapazen und wir konnten bei Sonnenschein und noch längeren Mai-Tagen (Sonnenaufgange: 04:00, Sonnenuntergang: 23:00; Tageslänge: bis zu 19h!) erste Bekanntschaft mit Norwegen machen.
Norwegens kleinste Stadt hat seine charmante und besondere Eigenart mit engen Gassen und alten Holzhäusern bewahrt und zählte zweifellos zu unseren Perlen an Norwegens Südküste.
Mitten im Ort imponiert die von dicken Wällen umgebene Seefestung Fredriksvern, die heute die Polizeischule beherbergt.
Imposant war vor allem die „Minnehalle“ oder „Hall of Remembrance“, ein nationales Denkmal, welches nach dem ersten Weltkrieg in Auftrag gegeben wurde, um den gefallenen norwegischen Seeleuten zu gedenken.
Jomfruland:
Erholt und Karma davon überzeugt, dass es bei uns an Bord doch ganz gut auszuhalten ist, ging es weiter nach Jomfruland (Jungfrauland).
Die etwa 7,5 km lange und durchschnittlich 1 km breite Insel hiess ursprünglich Aur, was „Boden aus Schotter und grobem Sand mit Steinen vermischt“ bedeutet. Passt!
Beeindruckend, wie es eine Insel dieser Grösse schafft, einem am Ende des Tages das Gefühl zu vermitteln, als ob man 4 unterschiedliche Inseln besucht hätte.
An der Südseite (Richtung Skagerrak) stiegen wir mit grossen Schritten über Schotter und Steine. Diese wurden vom Eis aus dem Binnenland mitgebracht und durch die Kräfte des Meeres rund geschliffen.
Die unterschiedlichen Zustände des Meeres – mal spiegelglatt, mal gewaltige Brandung – übten selbst auf uns zwei Seebären eine grosse Faszination aus. Einmal mehr wurde uns klar, welchem Element und welchen Kräften wir uns aussetzen bzw. welch unglaublich unberechenbare Freiheit wir geniessen.
Vom Nadelwald mit Moosbett und dunkelgrünem Schattenspiel ging es über in den Misch- und Laubwald wo sich eine „Freiluftkirche“ und ein Friedhof inmitten einer Lichtung versteckt hielten. Ein riesengrosser und uralter Baum schrie förmlich danach erklettert zu werden und 1, 2, 3 lag ich auf dem von der Sonne gewärmten Ast und fragte mich, was dieses mächtige Gewächs wohl bereits alles erlebt hat und noch erleben wird.
An der Nordseite der Insel begrüsste uns ein Meer aus bunten Feldblumen, eine Vogelwarte und entlang des Wassers schlängelte sich ein feiner weisser Sandstrand.
Eine kleine Insel mit vielen Gesichtern, 60 – 70 brütenden Vogelarten, zurückhaltenden Bewohnern und einer funktionierenden Landwirtschaft.
Martins Highlight: Bei 16m Wassertiefe und Böen von knapp 40kn Wind erwiesen uns unser Rocna und die neue 80m Kette treue Dienste.
Lenas Highlight: Nachdem ich meine Kindheit mit der Gewohnheit, im Frühjahr den Kuckuck hören zu dürfen, verbracht hatte und mich seit einigen Jahren von dem, vom Aussterben bedrohte Vogelvieh in der Schweiz immer mehr verabschiedet und entwöhnt hatte, wurde er ab der Insel Jomfruland zu unserem ständigen Begleiter: In jeder bewaldeten Bucht, auf jedem Landausflug – ob oben auf dem Berg, unten im Tal, vor oder hinter dem Dorf, wir konnten den Kuckucksruf immer wieder hören und er zauberte mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht!
Risor:
In der weissen Holzhausstadt trafen wir auf eine alte Festung mit unterirdischen Bunkergängen, einen unruhigen Aussen- und später (nach Umlegen) dafür einen umso ruhigeren Innenhafen und auf Mareike und Philipp, die herzliche und offene „Müggele“-Crew.
Unterwegs trifft man immer wieder auf andere Langfahrtsegler, Urlauber, Aussteiger, Träumer und Realisten. Zu welcher dieser Gruppen gehören wir?! Ich glaube tatsächlich, die Kombination daraus macht es aus.
Man muss wohl die passende Mischung aus „naivem Optimismus“ und „pragmatischem Realismus“ mit einer Prise „Traum und Lebensgenuss“ finden, um ein solches Projekt anzugehen und durchzuführen. Wichtig ist vor allem, dass es sich gut und richtig anfühlt.
Und genau so fühlten sich auch die zwei Traumbuchten Alvekilen und Lusekilen an.
Hier lebten wir unseren Buchten-Bordalltag, wie wir es mögen:
Ausschlafen, an Deck stehen und den Rundumblick geniessen.
Sport treiben, Lesen, Programmieren, mit Karma spielen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück macht sich sogar der Haushalt an Bord fast von allein.
Ein anschliessender Landausflug, welcher eine lange Wanderung, einen kurzen Spaziergang, ein Nickerchen im Gras, Erkunden von belebten oder verlassenen Dörfern, ein Drohnenflug oder eine Joggingrunde durch die Wälder beinhalten kann. Einfach sein, einfach leben – ohne Planung.
Die Maiglöckchen hatten Hochsaison! Während meiner Joggingrunde durch den Wald liessen mich die kleinen hübschen Glöckchen nicht nur etwas wehmütig an den Garten meiner Mama bzw. meines Zuhauses denken. Der herrliche Duft versetzte mich zurück in mein Kinderzimmer, in dem jedes Frühjahr ein liebevoll gepflücktes Sträusschen dieser Blumen gestanden hatte.
Mandal:
Mit dem Wunsch, Norwegen nicht nur an seiner Küste sondern auch im Landesinneren und somit die Vielfältigkeit der Natur zu erleben, planten wir unseren Roadtrip nach Bergen und Stavanger von Mandal aus.
Gesagt, getan.
Den Stauraum unseres kleinen blauen Miet-VW Polos bis auf die letzte Ritze ausgenutzt, Fairytale sicher in Mandals Hafen vertäut, Campingblockhüttchen gebucht, Karmas Hans im Glück-Säcklein gepackt und die Vorfreude auf einen einwöchigen Landtrip ins Gesicht geschrieben, fuhren wir die rund 500km per Innlandroute nach Bergen.
Es gibt Dinge, deren Schönheit kann man mit Worten nicht beschreiben. Die Faszination, die Norwegens Landschaft auf uns ausübte, kann nur mit eigenen Augen, Ohren und Nase nachempfunden werden.
Tiefblaue Fjorde, tosende Wasserfälle, unendlich weite Nadelwälder, einsam romantische Blockhütten.
Die lustigen Strassenschilder mit Abbildungen von Elchen, Hirschen, Schafen und anderen Tieren waren leider das Einzige, was wir von den Wildtieren sehen durften. Ja gut, wenigstens die Schafe zeigten sich ab und zu in ihrer vollen Wollpracht.
Auch die Wale kamen uns – auf merkwürdige und befremdliche Art – näher. Leider in Form einer Walsalami. Der Walfang gehörte zur wirtschaftlichen Grundlage des Landes, von der die Besiedlung vor allem der norwegischen Küste abhängig war. Mit der Begründung, dass die Abschusszahlen deutlich unter den Reproduktionszahlen lägen, gehen die Norweger nach wie vor auf Zwergwalfang. Und das obwohl die Internationale Walfangkommission, aufgrund der Überfischung und Dezimierung der Grosswalarten, ein Verbot des Walfangs verhängte.
Bergen:
In Bergen entdeckten wir auf dem Fischmarkt nicht nur die Walsalami.
Das Städtchen zeigte sich wohl in einer seiner lautesten, belebtesten Facetten. Herrlich! Ich liebe es, Leute beim Geniessen, Leben und unbesorgten Dasein zu beobachten.
Selbst als sich der Himmel über dem Stätdchen zu entleeren meinte, blieben die Bergenser singend, trinkend und lachend an den Tischen draussen vor dem Wirtshaus sitzen und nahmen vom Kellner dankend die, vom Wirtshaus zur Verfügung gestellten!, Regenschirme an und setzten ihre Feierlichkeit unter dem Dach aus Schirmen fort.
Ob das am Alkohol oder doch an der Akzeptanz des Dauerregens in Bergen (2000mm jährlich) lag?!
Stolz präsentierten drei ältere Männer, denen die jahrelange Fahrt zur See im Gesicht und an den Händen abzulesen war, ihre Fänge und grinsten um die Wette.
Die Mädels hatten sich in Schale, pardon! In traditionelle Kleider geworfen, sassen den jungen Männern auf dem Schoss und sangen Shantys, tranken Bier, liebten und lebten diesen normalen und doch ganz besonderen Samstag in Bergen.
Die Bryggen des Haupthafens Vagen faszinierten uns wohl gleichermassen wie jeden anderen Touristen. Bunt, aus Holz und krumm! Kein rechter Winkel oder gerader Balken war zu entdecken. Neu und liebevoll gestaltet zeigten sich die einstigen Kaufmannshäuser und Lagerhallen in ihrem erhaltenen Charme.
Der halbstündige Spaziergang auf den 320m hohen Floyen und die wunderbare Sicht auf Bergen krönten unseren Besuch in dieser belebten Hafenbucht.
Stavanger:
So bunt die Bryggen in Bergen waren, so weiss waren die 173 alten Holzhäuser, die Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh. erbaut wurden der liebevoll gepflegten Ovre Strandgate in Stavanger.
Ein hübsches Städtchen, das sowohl traditionelle Bauwerke als auch etwas weniger schöne Bauten aus den neueren Zeitepochen vereint.
Der imposante Kreuzfahrtdampfer stahl dem Hafenstädtchen ein wenig die Show und wir standen staunend vor diesem Koloss, beobachten die organisierte Sicherheitsabfertigung der Passagiere und die mehr oder weniger liebvollen Malerarbeiten, die gerade an der Bordwand durchgeführt wurden.
Die Ovre Holmegate wird nicht zu Unrecht Norwegens bunteste Strasse oder auch Stavangers Notting Hill genannt. Sie verzauberte mit knallbunten Häuschen, hübschen und einladenden Strassencafes und wir liessen es uns ausnahmsweise nicht nehmen, uns in einem dieser Lokale einen Drink zu genehmigen.
Lysefjorden und Preikestolen:
Der Lysefjorden ist ein 40km langer Fjord mit faszinierenden Felswänden auf beiden Seiten.
Im Vergleich zu anderen Fjorden Norwegens (Sognefjord 204km, Hardangerfjord 179km) ist er eher klein.
Fjorde sind voreizeitliche Flusstäler, die während der Eiszeiten durch die zum Meer abfliessenden Eisströme tief ausgehobelt wurden und sich später mit Meerwasser füllten. Bootsfahrten oder Wanderziele wie Preikestolen, Kjerag und Florli bieten Wanderern fantastische Blicke über den Fjord. Wir nahmen uns den, beinahe 600m senkrecht aus dem Lysefjord ragenden Fels Preikestolen (Predigtstuhl) vor. Srecke: 8km, Höhenunterschied: 330m, Schwierigkeitsgrad: rot.
Die zweistündige Wanderung führte uns durch Birkenwälder, über steile Steintreppen und gut präparierte Wanderwege. Klingt idyllisch, war es auch – wenn man sich die Menschenmassen mit denen bzw. gegen die man den Berg erklimmt, wegdenkt. Dabei sein ist alles! Das dachten sich wohl auch die junge Japanerin in Ballerinas, die ältere Dame im roten Woll-Rollkragenpulli oder der sehr schmal gebaute Tourist, der unter der Last seiner vielen Kameras förmlich zusammenzubrechen drohte.
Beim Hochlaufen hörten wir die Aussage: „Ne, ich würde da jetzt nicht nochmal hoch wollen!“
Diese Meinung können wir absolut nicht teilen. Der Aufstieg, die Aussicht und das, wie von einem Landschaftsarchitekten entworfene Meisterwerk, der Preikestolen – atemberaubend (oder für Martin auch etwas Atem-raubend)!
Mutig und unter den vielen Touris überhaupt nicht auffallend, sorgten wir für unsere Ja-die-Füsse-hängen-vom-Plateau-Fotos und genossen bei schönstem Wetter den Blick über den Lysefjord.
Nes-Viglesdalen:
Diese knapp 16km und mit 300 Höhenmetern gut machbare Wandertour scheint ein Klassiker zu sein. Und doch durften wir – im Gegensatz zur Preikestolen-Wanderung – die Wege, die Ruhe und den Fussmarsch entlang der Wasserfälle Hiafoss, Granefoss und Sendingsfoss, über eine alte Steinbrücke und durch eine enorme Geröllhalde zu fruchtbaren Wiesen am Ende des Sees Viglesdalsvannet, fast für uns alleine geniessen.
Mit diesem Highlight ging unser Roadtrip leider bereits wieder dem Ende entgegen und wir tauschten die Räder wieder gegen die Segel aus.
Unser letztes Stückchen Norwegen-Küste sollten die 30NM von Mandal nach Farsund sein. Der Nebel erlaubte Martin, endlich einmal mit dem Radargerät herumzuspielen.
Ein Dank für diesen Hafen-Tipp geht an die Müggele-Crew! Denn, da sich Hafenmeister-Kosten und Einnahmen der bezahlenden Hafengäste in Farsund nicht zu rechnen scheinen, ist quasi alles for free. In unserem Fall „all you can wash!“
Das Leben an Bord ist in manchen Situationen von Freiheit und Sorglosigkeit gekrönt.
In Sachen Waschmaschine könnte ich seit unserem letztjährigen Start ein Buch über Dreckwäsche, (nicht)funktionierende Waschmaschinen, Wartelisten und Bezahlautomaten schreiben. Naja, eher eine Kolumne oder Satiere?!
Umso genialer waren die kostenlosen und zuverlässigen Waschmaschinen und Trockner in Farsund. Martin und Karma rümpften beim Betreten des „frisch duftenden“ Bootchens zwar etwas die Nase, aber unter diesen Umständen gewann das Mädchen die Schlacht gegen die Piratenbraut.
Gewaschen, verproviantiert, ausgeschlafen und jaaa, jetzt kann man diesen Satz auch bei uns lesen: „Endlich ohne West-Wind und dafür mit gutem Wetter und Süd-Wind!“ starteten wir am 18.06.2019 unsere Überfahrt nach Schottland. Ziel: Peterhead.